Barrierefreiheit ist ein Konzept, ich glaube, ich sagte es schon einmal.
Das bedeutet aber auch, dass nicht nur irgendwann einmal der
Webdesigner eine barrierefreie Site entwickeln und programmieren muss,
sondern dass die Site hinterher auch so gepflegt und geschrieben werden
muss, dass sie weiterhin barrierefrei bleibt.
Bei einfach für alle entdecke ich gerade dieses interessante Angebot von Web for All:
Am Donnerstag, den 28. Juni 2007, findet in Heidelberg
ein ganztägiger Kurs für Redakteure statt. Die Teilnehmer erfahren,
welche Barrieren durch die Inhaltspflege eingebaut werden können.
Gezeigt wird, worauf Redakteure achten sollten, damit die langfristige
Barrierefreiheit sichergestellt wird.
“Barrierefrei” heisst im englischen “accessible”.
“Accessible” heisst im deutschen “zugänglich”.
Das Gegenteil von “zugänglich” ist “unzugänglich”.
Und? Wer möchte unzugängliche Websites haben?
Manche Benutzer überraschtWindows beim Starten eines bis dahin
problemlos laufenden Programmes in den letzten Tagen mit der
Fehlermeldung, die Datei user32.dll sei verschoben:
Hilfe gibt es vom Microsoft unter der Adresse http://www.microsoft.com/downloads/details.aspx?displaylang=…
Joana Zimmer ist - für diejenigen, die sie nicht kennen - eine
deutsche Sängerin. Vielleicht dem ein oder anderen bekannt durch den
Titelsong zur ARD-Telenovela “Rote Rosen” oder eine im Moment recht
häufige Radiowerbung. Mehr Infos gibt es z.B. in der Wikipedia.
Außerdem ist Joana Zimmer blind.
Heute bekam ich durch Zufall einen Hinweis auf ihre Website. Hatten wir doch letztens noch einen Vortrag über barrierefreies Webdesign hören dürfen, fiel auf Joanas Site zuerst die Wahlmöglichkeit auf der Startseite auf:

Man hat die Auswahl zwischen einer “Standard” und einer “barrierefreien Version”.
Klingt - wenn man erst mal nicht weiter drüber nachdenkt - erst
einmal nicht dumm. Aber wie schrieb ich noch direkt nach dem Vortrag?
Denn Barrierefreiheit ist nicht eine technische Lösung, sondern ein Konzept
Und “den Behinderten” einen Nebeneingang anzubieten, das konnte nach dem wie ich es verstanden hatte keine Lösung sein.
Ein kurzer Vergleich der beiden Versionen machte mich sicherer:
- Barrierefreiheit bedeutet hier, keine “Gallery” anzubieten. Ok,
Blinde haben vielleicht nicht viel davon, von Screenreader oder
Braillezeile mehrfach nacheinander “Foto von Joana Zimmer” vorgelesen
zu bekommen, aber es gibt ja noch mehr Gründe, auf eine barrierefreie
Version angewiesen zu sein.
- Barrierefreiheit bedeutet auch, sich nicht im Fan-Club, hier
liebevoll “VIP-Lounge” genannt anmelden zu können. Gucken ja, Mitmachen
nein, oder wie?
- Barrierefreiheit bedeutet, auf weitere “Medien” verzichten zu müssen.
- Auch ein Gästebuch oder den Menuepunkt “CBM Goodwill Ambassador”
braucht man wohl nicht, wenn man sich für die barrierefreie Version
entschieden hat.
- Und Hintergrundmusik bekommt man auch nicht.
Besonders der vorletzte Punkt verbirgt noch einmal ein besonderes
Detail: Hier verstecken sich Berichte über eine Reise die Joana Zimmer
als Botschafterin für die Christoffel Blindenmission 2006 unternommen
hat. Das erste Mal kommt mir die Frage, ob Frau Zimmer von dieser Site
weiss.
6 zu 11 also zu ungunsten derjenigen, die sich aus irgendeinem Grund für die barrierefreie Version entschieden haben.
Eine kurze Nachfrage bei Jan Eric Hellbusch brachte noch eine Bestätigung
Solche “barrierefreien” Versionen sind die klassischen
“Textversionen” (mit verminderte Funktionalität) und sind nach der
Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung absolut zu vermeiden.
Und oben sieht man auch mindestens einen guten Grund, warum das so ist.
Schauen wir doch zum Schluß noch schnell hinter die Kulissen - in den Quelltext:
Da sieht man, dass man sich schon einige Gedanken gemacht hat. Der Code
ist einigermaßen sauber strukturiert, man hat versucht, die Site gut
mit der Tastatur bedienbar zu machen und es gibt verschiedene Kontrast-
und Farbeinstellungen für unterschiedliche Sehbehinderungen.
Trotzdem gibt es auch hier eine Menge Verbesserungsmöglichkeiten.
Trotz dieser Mühe, die sich jemand da gemacht hat: Das ist nur ein Anfang. Und kein guter.
Barrierefreiheit ist ein Konzept. Und nicht eine abgemagerte Text-Version einer bestehenden Site.
Bei mir bleibt am Ende das schale Gefühl, dass da jemand gemerkt
hat, dass man bei der Website einer blinden Sängerin ja auch auf
Barrierefreiheit achten muß. Und man schnell etwas zusammengeschustert
hat, ohne sich wirklich eingehend zu kümmern. Aber das ist natürlich
nur ein Gefühl. Aber kein gutes.
Google kennt jeder, darüber muß nichts mehr gesagt werden. Oder?
Wer die Feiertage dazu nutzen will, mehr über die Suchmaschinen zu
erfahren, dem sei die sehr gute Facharbeit von Christoph Hörl Google Inc. - Ein einzigartiges Unternehmen empfohlen.
Themen unter anderem:
- Das Phänomen »Google«
- Was Google zu diesem Erfolg verhalf
- Einfachheit und Klarheit
- Schnelligkeit
- Das Unternehmen Google Inc.
- Die Gründer
- AdWords und AdSense – Googles Milliardenquellen
- Arbeiten bei Google
Kurze Zusammenfassung und ein paar Gedanken zum gestrigen Abend.
Erst einmal vielen Dank an Jan Eric Hellbusch,
der den ganzen Abend sehr interessant eine Reise quer durch die Aspekte
des barrierefreien Webdesigns machte. Ebenfalls Danke an Andrea und Ellen für Raum und Organisation.
Jan Eric lieferte eine perfekte Einführung in das Thema barriefreies
Webdesign. Er begann mit kurzen Definitionen, stellte die wichtigsten
Handicaps und wie sie sich auf die Arbeit am Computer auswirken sowie
dazu passende Hilfsmittel (alternative Eingabe- und Ausgabegeräte) vor
und machte dann noch einen kleinen Ausflug ins Internet, um am Beispiel
einiger bekannter und dann auch am Beispiel eines meiner jüngsten Werke zu zeigen, wie er das Internet mit dem Screenreader Jaws erlebt.
Da mir die Grundlagen sowohl möglicher Behinderungsformen aus einem früheren Leben als Student für Sehbehindertenpädagogik
als auch die Grundlagen eines standardkonformen und barriefreien
Webdesigns bekannt sind brachte mir der Abend zuerst einmal die
beruhigende Erkenntnis, dass ich zumindest nicht ganz dumm da stehe.
Jan Eric konnte meine Website prinzipiell benutzen und der vergessene
Alternativ-Text beim Bild war natürlich peinlich, zeigte eigentlich ein
ganz anderes Dilemma auf:
Barrierefreiheit spielt bei der täglichen Arbeit nicht wirklich eine
Rolle, weil sie schlichtweg nicht honoriert wird. Und dann wird man
unaufmerksam. Hat keine Zeit oder kein Budget mehr für weitere
Kleinigkeiten, die anderen helfen könnten.
Neben mir saß Nurdan Ergün
und wir stellten übereinstimmend fest, dass es in unserem Alltag
schlichtweg niemanden interessiert, ob eine Site barrierefrei ist oder
nicht.
So lange bei Barrierfreiheit immer noch nur an “die Blinden” gedacht
wird, die man viel zu leicht mit dem Argument “Randgruppe” beiseite
schieben kann, so lange wird es vermutlich einen Kunden in einem
normalen Betrieb nicht interessieren, ob seine Site mit einem
Screenreader zu lesen und mit der Tastatur zu bedienen ist. Und die
Texte werden von der Marketingabteilung verfasst und selbstverständlich
nicht in leichte Sprache übersetzt.
Und das ist ja auch niemand zu verübeln.
Trotzdem muß das Umdenken da anfangen. Denn Barrierefreiheit ist
nicht eine technische Lösung, sondern ein Konzept, das lange vor dem
ersten Html-Tag anfängt - das ist mir gestern Abend noch einmal richtig
deutlich geworden.
Es muss - und das wird vermutlich noch ein Weilchen dauern - ein
Umdenken stattfinden. Denn nicht nur der Mann auf der Straße mit dem
weißen Stock ist sehbehindert, sondern auch die Schwiegermutter mit den
dicken Brillengläsern. Die gehört aber zur äußerst zahlungswilligen
Gruppe der “jungen Alten”, die die Werbung ja auch langsam für sich
entdeckt.
Und ich denke da könnten dann mal die ersten Barrieren fallen.
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